Da schläfst Du nicht ein

  - ein kleiner entwicklungsgeschichtlich-verhaltensbiologischer Exkurs -  

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    Gehen wir mal 50 Millionen Jahre zurück, in eine Zeit, als unsere fernen Vorfahren noch keine Autoschlüssel, keine Smartphones und keine Schulden hatten. Manches war für diese waldbewohnenden Primaten einfacher, in anderer Hinsicht hatten sie es zweifellos schwerer als wir. Ein Beispiel: zum Schlafen suchte sich eine Lemurenfamilie eine passende Baumkrone, kuschelte sich zusammen, und - presto! Fertig war das komfortable Schlafzimmer. Ohne Wände. Was andere Baumbewohner allerdings als Einladung zum Mitternachts-Snack betrachteten. Große Würgeschlangen zum Beispiel. Sagt sich die Lemurin: Ich hab den ganzen Tag die Kinder am Hals, da muß ich wenigstens in der Nacht meinen Schönheitsschlaf halten dürfen. Der Herr Gemahl Lemur hingegen hat den ganzen Tag und bis spät in den Abend hinein



"I like to move it" gegrölt und getanzt, jetzt ist er dran. Wache halten. Wozu hält man sich schließlich den Lümmel. Und damit der Lemurenlümmel nicht einfach wegratzt, sobald die Lemurin selig eingeschlummert ist, hat sich Mama Evolution etwas Feines ausgedacht: Im Schlaf stupst Frau Lemur den Herrn Lemurich periodisch an, so etwa alle 30 Sekunden, ganz leicht, so daß es nur kitzelt und ihn mit jedem Mal senkrecht in der Astgabel hochschrecken läßt.

    Da schläfst Du nicht ein.

    Die erwünschte Nebenwirkung ist, daß Papa Lemur nach längstens einer Stunde solcher Folter dermaßen grantig ist, daß die Würgeschlange auf der Suche nach dem Mitternachts-Snack beim Auffinden der solcherart beschützten Lemurenfamilie eine böse Überraschung erlebt.

    Und am nächsten Morgen ist der übernächtige Lemurenpapa nur noch imstande, mit den anderen Lemurenfamilienvätern in das allgemeine "I like to move it" einzustimmen. So schließt sich der Tageskreis. Bleibt noch anzumerken, daß Lemurenmuttis, die dieses Verhalten zeigen, eine größere Chance haben, ihren Nachwuchs großzuziehen, als solche, die es lassen. Oh, Grüß Gott, Mr. Darwin.

    50 Millionen Jahre schneller Vorlauf. Die späten Nachfahrinnen der Lemurenmütter weilen unter uns, wir nennen sie "Ehefrauen". Zwar haben unsere Schlafzimmer inzwischen Wände, und Würgeschlangen verirren sich auch nur noch äußerst selten in mein Schlaf- oder Kinderzimmer. Aber man nimmt nicht so leicht Abschied von liebgewonnenen Gewohnheiten. Deshalb erlebe ich allabendlich dasselbe atavistische Urzeitritual: Die Lemureuse, äh Ehegattin rutscht scheinheilig zu mir rüber "Mir ist kalt, kann ich mich an Dir wärmen?", kuschelt sich an mich und plaziert die Stupswerkzeuge an den strategisch günstigsten (=kitzligsten) Stellen, seufzt wohlig auf und versinkt alsbald in einen entspannten vormitternächtlichen Erholungsschlaf. Zeitgleich mit dem Einsetzen des zarten Schnarchens beginnt der lemurische Totmannschalter zu zucken. Ich hab auf die Uhr geschaut. Alle 30 plusminus 5 Sekunden.

    Da schläfst Du nicht ein.

    Jetzt bitte keine klugen Kommentare von wegen "Lemuren sind nachtaktiv und schlafen am Tag". Die könnten meine ganze schöne Geschichte kaputtmachen. Und das wollen wir doch nicht.

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 Walter Moers würde so etwas seinen Lesern wohl als Mythenmetz'sche Abschweifung unterjubeln... 
BUNT-BUNT-BUNT-BUNT-BUNT-BUNT-BUNT-BUNT-BUNT-BUNT-BUNT-BUNT-BUNT-BUNT-BUNT Zuletzt aktualisiert: decet 17.5.2015